Demokratie

Demokratie
民主

Demokratie / 民主

Demokratie / 民主

KURZGEFASST

In der VR China bezieht sich der Begriff Demokratie auf das marxistisch-leninistische System der demokratischen Diktatur des Volkes (人民民主专政) und des demokratischen Zentralismus (民主集中制), in dem die KPCh die oberste Volksvertretung darstellt. Dieses politische System der „sozialistischen Demokratie chinesischer Prägung“ wird ausdrücklich von der liberalen Demokratie unterschieden, da diese mit den spezifischen Gegebenheiten Chinas unvereinbar sei. Während Chinas Bürger:innen auf lokaler Ebene wählen können, bildet die KPCh laut Verfassung die alleinige Regierungspartei, was eine Machtübertragung verhindert. Die KPCh hat die Führungsgewalt über alle gesetzgebenden und staatlichen Organe und kann die Politik von oben durchsetzen.

Auch wenn es kein pluralistisches Parteiensystem gibt, in dem der Zugang zur Macht auf regelmäßigen allgemeinen Wahlen basiert, bezeichnet sich die Partei selbst als demokratisch. Durch „konsultative Demokratie“ (协商民主) bezieht die KPCh formal die Interessen verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ein, doch leitet sie ihre Legitimität vor allem daraus ab, dass sie Ordnung, Wohlstand und Sicherheit garantiert. Mit Verweis auf die Erfolge beim Wirtschaftswachstum sowie im öffentlichen Gesundheits- und Sozialwesen stellt der Parteistaat sein Modell als international überlegen dar. Xi Jinping erklärte 2017: „Chinas sozialistische Demokratie ist die umfassendste, echteste und effektivste Demokratie“.

ANALYSE

Der in der marxistisch-leninistischen Ideologie verankerte chinesische Begriff „Demokratie“ (民主) ist seit der Gründung der KPCh, die sich den Aufbau einer „Volksdemokratie“ zur Aufgabe gemacht hat, ein integraler Bestandteil des Sprachgebrauchs der Partei. Xi prägte 2019 den Begriff der „Demokratie im Gesamtprozess“, in der die KPCh alle Stimmen innerhalb und außerhalb der Partei auf sich vereint und damit „die Menschen befähigt, ihr Recht als Herren des Staates auszuüben“.

Die Darstellung von China als demokratischem Staat stützt sich auf drei Säulen:

Da die KPCh demokratisch ist, ist auch China zwangsläufig demokratisch. Im System des „demokratischen Zentralismus“ werden wichtige politische Entscheidungen von zentralen Parteiorganen getroffen, aber auf allen Verwaltungsebenen in formalisierten „demokratischen Sitzungen“ diskutiert. Durch neue Arbeitsvorschriften aus dem Jahr 2020 wird das „Zentrum“ noch eindeutiger definiert: Xi Jinpings Gedankengut wird als Maßstab festgelegt, was Abweichungen von der zentralen ideologischen Führung erschwert.

Chinesische Bürger:innen haben ein Wahlrecht. Nach Artikel 2 und 3 der Verfassung gehen die Volkskongresse – Chinas gesetzgebende Organe – aus demokratischen Wahlen hervor. Nach dem Wahlgesetz können sich Bürger:innen über 18 Jahren zur Wahl aufstellen und Delegierte für die Volkskongresse bis zur Gemeinde- und Kreisebene direkt wählen. Aus der Verfassung geht jedoch auch eindeutig hervor, dass die Volksrepublik ein sozialistischer Staat unter der alleinigen Führung der KPCh ist. Alle staatlichen Institutionen arbeiten nach Weisung der Parteiorgane, und die Kandidaten für die Volkskongresse werden grundsätzlich vorab ausgewählt.

Die KPCh berücksichtigt auch andere Akteur:innen und Interessen. Die wichtigsten Organe der Konsultativdemokratie sind formal die Politischen Konsultativkonferenzen des Chinesischen Volkes. Unter dem Etikett der Zusammenarbeit mit acht demokratischen Blockparteien und durch Annahme von Rückmeldungen – auch online – holt die KPCh Meinungen von verschiedenen Interessensgruppen ein, solange diese die politischen Prioritäten der KPCh nicht offen infrage stellen.

Dieses kollektive, konsensorientierte Ideal der Demokratie unter zentralisierter Parteiführung wird dem konfrontativen, wettbewerbsorientierten Stil der westlichen Demokratie gegenübergestellt. Inzwischen wird das System als das einzige für China geeignete Modell dargestellt. Aber es war nicht immer unangefochten. Chinesische Studierende forderten in den Protesten von 1989 eine Reform des politischen Systems, die auch Elemente der liberalen Demokratie einschließen sollte. Nach dem Ende der Protestbewegung verschwand der Begriff zunächst weitgehend aus den politischen Debatten in China.

2002 wurde auf dem 16. Parteitag erklärt, dass „die innerparteiliche Demokratie die Lebensader der Partei ist“. Führende Parteivordenker brachten das Konzept wieder ins Spiel. Ende der 2000er und Anfang der 2010er Jahre diskutierten Funktionäre, Medien und Bürger:innen öffentlich über die Stärkung der innerparteilichen Demokratie und die Liberalisierung der Kommunalwahlen, um einen Pluralismus der Standpunkte zu ermöglichen und verstärkt Nicht-Parteimitglieder einzubinden. Dabei hielten sie allerdings an einer Demokratievorstellung fest, die mit der Einparteienherrschaft vereinbar ist. Unabhängige Kandidat:innen traten zur Wahl an und hatten einigen Erfolg. Bei den Kommunalwahlen 2011 versuchten Kandidat:innen, die sich für Bürgerrechte einsetzen, unter dem Slogan „Eine Person, eine Stimme, gemeinsam verändern wir China“ in den Wahlkampf zu ziehen.

Nach Xis Machtübernahme im Jahr 2012 wurde „Demokratie“ in den Kanon der 12 sozialistischen Kernwerte aufgenommen. Dies war jedoch kein Zeichen für eine liberalere Auffassung von Demokratie. Im Gegenteil: Experimente in breiterer Partizipation wurden unterbunden und einige unabhängige Kandidat:innen verhaftet. 2013 wurde in Dokument Nr. 9 das liberale Verständnis von Demokratie zur Bedrohung für die Stabilität des Regimes erklärt. Konzepte wie konstitutionelle Demokratie, Gewaltenteilung und Unabhängigkeit der Justiz werden regelmäßig als „falsches ideologisches Denken“ abgetan, dem entschlossen entgegengetreten werden müsse. Irreleitende liberale Werte wurden als Hauptursache für die Proteste in Hongkong in 2019-2020 ausgemacht.

Zugleich setzt sich China für eine „Demokratisierung des UN-Systems“ ein und fordert mehr Mitspracherechte für Länder des Globalen Südens. Im Kontext der UN bedeutet dies auch eine Akzeptanz autoritärer Regierungsformen und Werte, da die Bevölkerung im chinesischen Verständnis nur von Staaten vertreten werden kann.