Kultur / 文化
KURZGEFASST
Die UNESCO definiert Kultur im weitesten Sinne als „die Gesamtheit der charakteristischen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Merkmale einer Gesellschaft oder einer sozialen Gruppe, zu denen nicht nur Kunst und Literatur, sondern auch Lebensstile, Formen des Zusammenlebens, Wertesysteme, Traditionen und religiöse Überzeugungen gehören“.
Für die Kommunistische Partei Chinas ist Kultur jedoch in erster Linie etwas zutiefst Politisches – eine von mehreren „Fronten“ im Kampf der Partei gegen ihre inneren und äußeren Feinde und Kritiker:innen. In seiner Rede vor dem Yan’an-Forum für Literatur und Kunst erklärte Mao Zedong 1942, dass „Kunst und Literatur der Politik folgen müssen“. Die chinesische Kulturindustrie nahm in der Reform- und Öffnungsperiode nach Maos Tod eine rasante Entwicklung, doch die Partei besteht weiterhin auf ihrem politisch-kulturellen Führungsanspruch.
Unter der Führung von Xi Jinping wird der Kultur seit Ende 2012 wieder politische Priorität eingeräumt, wobei Begriffe wie „Aufbau [Chinas] als Kulturmacht“ (建成文化强国), Gewährleistung „kultureller Sicherheit“ (文化安全) und Mobilisierung gegen die „kulturelle Hegemonie“ der USA und des Westens im Vordergrund stehen. Kultur ist ein Mittel, um die Macht und Legitimität der Partei zu stärken und die KPCh gegen Bedrohungen ihrer Legitimität auf der ganzen Welt zu verteidigen.
ANALYSE
Chinas Verhältnis zur Kultur war fast über die gesamte Moderne hinweg von Widersprüchen geprägt. Während der Bewegung für eine neue Kultur in den 1920er Jahren versuchte eine neue Generation von Gelehrten, Schriftsteller:innen und Aktivist:innen, sich vom Einfluss des traditionellen konfuzianischen Gedankenguts zu lösen, das sie für Chinas Schwäche verantwortlich machten, und auf der Grundlage westlicher Ideale von Wissenschaft und Demokratie eine neue Gesellschaft aufzubauen. Doch auch wenn China auf den Westen schaute, waren die Vorstellungen von Kultur eng mit den Erfahrungen des Imperialismus seit der Mitte des 18. Jahrhunderts verknüpft. In einem einflussreichen, im Zuge der Vierte Mai Bewegung verfassten Artikel von 1923 wurde vor der „kulturellen Invasion“ gewarnt. Diese Invasion wurde als die letzte der vier Heimsuchungen Chinas durch den westlichen Imperialismus charakterisiert.
In seiner Rede vor dem Yan’an-Forum für Literatur und Kunst im Jahr 1942 sprach Mao bekanntlich von der Macht „der Feder und der Waffe“ und von der großen Bedeutung der kulturellen wie auch der militärischen Front. Während der Kulturrevolution (1966-1976) unternahmen fanatische Gruppen so genannter Rotgardisten einen landesweiten Feldzug der Kulturzerstörung, um die „Vier alten Übel“ – veraltete Denkweisen, Gewohnheiten und Bräuche und eine veraltete Kultur – zu zerschlagen. Dies war der Auftakt mehrerer aufeinanderfolgender Zerstörungswellen, die sich über ein Jahrzehnt hinzogen und unsägliche kulturelle und menschliche Verluste mit sich brachten.
Mit dem Ende der Kulturrevolution setzte sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass die politischen Exzesse des vorangegangenen Jahrzehnts zum großen Teil darauf zurückzuführen waren, dass Mao Zedong als Führer des Landes bestimmte, welche kulturellen und politischen Botschaften vermittelt wurden. Die relative Aufgeschlossenheit der 1980er Jahre führte zu einem „Kulturfieber“ und zu mehr Kreativität und Wahrheitssuche in Medien und Kunst. Diese Entwicklung fand mit der gewaltsamen Niederschlagung der pro-demokratischen Demonstrationen in China im Juni 1989 ein dramatisches Ende.
Die KPCh konzentrierte sich seither darauf, die politische Kontrolle der Partei über die Kultur und die Medien aufrechtzuerhalten und parallel die wirtschaftliche Entwicklung und „eine Kultur des Sozialismus chinesischer Prägung“ zu fördern. 1997 wurde erstmals der Gedanke formuliert, dass Kultur „ein wichtiger Indikator der umfassenden nationalen Macht“ (综合国力的重要标志) sei. Ein Jahrzehnt später begann China – wenngleich mit mäßigem Erfolg – der öffentlichen Diplomatie und der Entwicklung von „Soft Power“ Priorität einzuräumen und startete eine weltweite Medienoffensive, in deren Rahmen die Regierung schätzungsweise 45 Milliarden Yuan für den Ausbau der Staatsmedien im Ausland ausgab.
Unter Xi Jinping zählt seit 2012 die chinesische Kultur als umfassende nationale Machtressource zu den wichtigsten Prioritäten der Führung. Xi Jinping spricht von der Notwendigkeit, „das kulturelle Selbstvertrauen zu stärken und eine sozialistische Kulturmacht aufzubauen“ (坚定文化自信,建设社会主义文化强国). Die chinesische Führung und die staatlichen Medien sehen in der globalen kulturellen Stärke Chinas und ihrer Fähigkeit, Kritik einzudämmen und „Chinas Geschichte richtig zu erzählen“, ein entscheidendes Mittel, um „die westliche kulturelle Hegemonie zu durchbrechen“ (打破西方文化霸权) und das „ungleiche Verhältnis“ zwischen China und dem Westen zu verändern.
Diese Interpretation von Kultur und ihrem politischen Wert ist eng mit der nationalistischen Vorstellung der Xi-Ära vom „chinesischen Traum“ der „großen Renaissance der chinesischen Nation“ und dem Versprechen der KPCh verbunden, China wieder in den Mittelpunkt des Weltgeschehens zu rücken. In seinem politischen Bericht an den 19. Parteitag der KPCh im Jahr 2017 sagte Xi Jinping: „Ohne ein hohes Maß an kulturellem Vertrauen, ohne eine glorreiche und blühende Kultur kann es keine große Renaissance der chinesischen Nation geben.“