Multilateralismus / 多边主义
KURZGEFASST
Im Kontext der Vereinten Nationen bezeichnet „Multilateralismus“ üblicherweise ein koordiniertes diplomatisches Zusammenwirken von drei oder mehr Staaten (oder anderen Akteuren), das im Rahmen internationaler Organisationen und in Übereinstimmung mit deren Regeln erfolgt. Häufig wird „Multilateralismus“ synonym für „multilaterale Ordnung“ verwendet, womit vor allem die Ordnung gemeint ist, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat und Organisationen wie die Vereinten Nationen, NATO, Weltbank, IWF und EU umfasst. So bildet der „Multilateralismus“ die Quelle für die Regeln und Standards der internationalen Zusammenarbeit (wie die Agenda 2030 mit ihren 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung und das Pariser Klimaabkommen), während die „multilaterale Ordnung“ im Wesentlichen die liberale Weltordnung bezeichnet.
Die chinesische Regierung hebt insbesondere in ihrer englischsprachigen Kommunikation häufig Chinas Engagement für den „Multilateralismus“ hervor. Als Beispiel führt sie die Neue Seidenstraße (Belt and Road Initiative, BRI) an und erklärt, dass „mehr als 160 Länder und internationale Organisationen BRI-Kooperationsdokumente mit China unterzeichnet haben“. Allerdings kritisiert Chinas Führung das bestehende regelbasierte multilaterale System, vor allem nach Innen. Es sei nicht „fair und gerecht“, sondern schütze „die Eigeninteressen einer bestimmten Gruppe“. Die Neue Seidenstraße wird dagegen als alternativer, auf „gemeinsamen Konsultationen“ beruhender „Multilateralismus chinesischer Prägung“ dargestellt, bei dem die Zusammenarbeit mit anderen Ländern nicht auf allgemein verbindlichen Regeln für die internationale Zusammenarbeit fußt, sondern auf bilateralen Vereinbarungen. Chinas Vision des Multilateralismus ist also eher ein „Multi-Bilateralismus“.
ANALYSE
Nach seinem Amtsantritt im Jahr 2013 leitete Xi Jinping eine außenpolitische Hinwendung zu einer proaktiveren „Großmachtdiplomatie“ ein, deren sichtbarster Ausdruck die BRI ist. Das ursprünglich auf eine engere Zusammenarbeit mit den Nachbarländern ausgerichtete Projekt wurde rasch zu einer global ausgerichteten Initiative ausgeweitet. In der englischsprachigen Kommunikation betonen die chinesische Führung und die KPCh-Vertreter immer wieder, dass China ein „Verfechter des Multilateralismus“ sei und „am Multilateralismus festhalten“ werde oder dass China sich verpflichtet habe, „den Multilateralismus aufrechtzuerhalten“.
Für Xi Jinping besteht das Ziel des Multilateralismus darin, eine „Schicksalsgemeinschaft der Menschheit“ (人类命运共同体, heute oft übersetzt mit: „Gemeinschaft mit geteilter Zukunft“) aufzubauen. Dementsprechend sollte der Multilateralismus „nicht nach alter Manier die engen Eigeninteressen einer Gruppe sichern“. Eine in diesem Zusammenhang oft gefällte Aussage ist, dass „internationale Regeln von allen Ländern gemeinsam verfasst werden sollten“ – was impliziert, dass das derzeitige multilaterale System ungerecht sei und die bestehenden Regeln umgeschrieben werden müssten. Die chinesischen Staatsmedien bezeichnen diesen Ansatz als „Xiplomatie“ (习式外交).
Im Oktober 2019 erschien in der KPCh-Zeitschrift Study Times (学习时报) ein Artikel mit dem Titel „Mit Xi Jinping-Gedankengut den Multilateralismus chinesischer Prägung fördern“, der von der Abteilung für politische Planung des Außenministeriums verfasst wurde. Darin heißt es, dass „internationale Angelegenheiten von allen Ländern durch Konsultationen, nach von allen Ländern vereinbarten Regeln und unter Berücksichtigung der legitimen Interessen und berechtigten Anliegen aller Länder behandelt werden sollten“. Darüber hinaus hob das Außenministerium hervor, dass die Wurzeln dieser Auffassung von Multilateralismus bis in die Frühlings- und Herbstperiode der chinesischen Antike (770-476 v. Chr.) zurückreichen: „Im alten China gab es große Ereignisse wie die Treffen von Kuiqiu und Zhangye, die die traditionelle politische Kultur der Suche nach Gemeinsamkeiten bei gleichzeitiger Wahrung der Unterschiede, der Einhaltung von Verträgen und Versprechen sowie der Zusammenarbeit durch Konsultation widerspiegelten“.
In seinem Bericht an den 19. Nationalen Volkskongress beschrieb Xi Jinping seine Vision des Multilateralismus als „Dialog ohne Konfrontation, Partnerschaft ohne Allianzen“ (对话而不对抗、结伴而不结盟), und deutete damit an, dass China allgemein verbindliche Regeln für die internationale Zusammenarbeit ablehnt, sich aber mit anderen Ländern in bilateralen Konsultationen austauschen wird. Ein jüngeres Beispiel dafür ist der Versuch der G20, sich auf eine multilaterale Lösung für den Schuldenerlass für die von der COVID-19-Pandemie betroffenen Länder Afrikas zu einigen. China erklärte, dass es multilaterale Ansätze unterstützt, die einkommensschwachen Ländern helfen sollen, angemessen auf Überschuldungsrisiken zu reagieren, und dass es bereit sei, mit den betroffenen Ländern über bilaterale Kanäle zu kommunizieren.