Recht auf Privatsphäre

Recht auf Privatsphäre
隐私权

Recht auf Privatsphäre / 隐私权

Recht auf Privatsphäre / 隐私权

KURZGEFASST

Das Recht auf Privatsphäre bezeichnet im Kern die Freiheit von Einmischung in das Privatleben, die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Briefgeheimnis. UN- und EU-Normen machen deutlich, dass das Recht auf Privatsphäre die Freiheit von willkürlicher und massenhafter Überwachung einschließt. Das digitale Zeitalter birgt neue Herausforderungen für den Schutz der Privatsphäre, da sowohl Staaten als auch Konzerne große Mengen an Daten sammeln und analysieren. Der Schutz der Privatsphäre ist daher eng mit dem Schutz personenbezogener Daten verknüpft, für die z. B. die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und nationale Rechtsvorschriften neue Rahmenbedingungen schaffen.

Die Artikel 39 und 40 der chinesischen Verfassung untersagen ebenfalls die rechtswidrige Durchsuchung und Eindringen in die Wohnung und Korrespondenz der chinesischen Bürger:innen. Der rechtliche Schutz personenbezogener Daten in China wurde in den letzten Jahren erheblich ausgeweitet. Doch während sich die Debatte und Gesetzgebung in liberalen Demokratien traditionell auf den Schutz vor dem Staat konzentrieren, liegt der Schwerpunkt in China auf dem Schutz der Bürger:innen vor dem übermäßigen Sammeln und Missbrauch von Daten durch privatwirtschaftliche Akteure. Der Staat beansprucht weitreichende Rechte zur Überwachung, Beobachtung und Abfrage von Daten über seine Bürger:innen, mit Verweis auf breit gefasste öffentliche und nationale Sicherheitsbefugnisse.

ANALYSE

Das neue chinesische Zivilgesetzbuch (2021) und das Gesetz zum Schutz personenbezogener Daten (2021) haben dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Privatsphäre Substanz verliehen. Unternehmen oder Organisationen, die personenbezogene Daten verarbeiten, unterliegen nun strengeren Verpflichtungen, die Zustimmung der Betroffenen einzuholen und sie über die erhobenen Daten und deren etwaige Verarbeitung zu informieren.

Obwohl der Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit personenbezogener Daten im Weißbuch über Fortschritte bei den Menschenrechten des Staatsrats aus dem Jahr 2021 herausgestellt wurden, fehlt in offiziellen Dokumenten die Betonung eines eigenständigen Rechts auf Privatsphäre. Das hat sowohl politische als auch sprachhistorische Gründe. Unter Maos kollektivistischem Regime erregte es Misstrauen, Angelegenheiten „privat“ zu halten. Die Verbreitung des Begriffs im alltäglichen Gebrauch wurde auch dadurch erschwert, dass der chinesische Begriff für Privatsphäre (隐私) gleichklingend mit dem Begriff für „beschämendes Geheimnis“ (阴私) ist.

Die politische und öffentliche Einstellung änderte sich im Zeitalter der Reform und Öffnung. In den 1990er und frühen 2000er Jahren formulierte die chinesische Regierung die ersten Datenschutzbestimmungen. In den folgenden Jahrzehnten wurden die Rechte auf Privatsphäre nicht nur durch Normen für den Schutz personenbezogener Daten und Datensicherheit besser geschützt, der Begriff wurde auch zunehmend in akademischen Schriften und öffentlichen Debatten aufgegriffen.

Privatsphäre ist heute ein feststehender Begriff in China. Dies steht in engem Zusammenhang mit der weiten Verbreitung digitaler Technologien im Alltag – angefangen bei der Kommunikation und Reisen über den Konsum bis hin zur Bezahlung. Im Gegensatz zu europäischen Normen werden Privatsphäre und Schutz personenbezogener Daten in China in politischen Dokumenten und Gesetzen in erster Linie unter dem Blickpunkt der Informationssicherheit und der Verbraucherrechte behandelt – und nicht als Schutz vor staatlichen Bemühungen zur Überwachung der Bevölkerung. Die Gesetzgebung richtet sich weitgehend an den privaten Sektor.

Zwar muss sich auch der Staat bei Datenerhebung und -verarbeitung an Standards halten. Das Nationale Sicherheitsgesetz, das Cybersicherheitsgesetz und andere Rechtsvorschriften geben dem chinesischen Staat jedoch weitreichende Befugnisse zur Überwachung des öffentlichen Raums und des Internets. Datenschutzerklärungen von Unternehmen enthalten in der Regel Hinweise darauf, dass Daten an die zuständigen Behörden weitergegeben werden können, wenn sie die öffentliche und nationale Sicherheit betreffen. Plattformen sind gesetzlich verpflichtet, Online-Dienste nur nach Verifizierung der Identität anzubieten, so dass Daten schnell auf Einzelpersonen zurückgeführt werden können.

Um ein „friedliches China“ (平安中国) aufzubauen, zielt die Regierungspolitik ausdrücklich darauf ab, eine umfassende Kameraüberwachung zu gewährleisten sowie Bewegungsmuster und Äußerungen im Internet nachzuverfolgen und damit ein präventives, „multidimensionales System zur Wahrung der öffentlichen Sicherheit“ (立体化信息化社会治安防控体系) – und der Sicherheit der Partei – aufzubauen. In den letzten Jahren wurden zudem bereits unter Mao eingeführte Mechanismen digital aufgerüstet, angefangen bei digitalen Personalakten bis zu Apps und Hotlines, um Bürger:innen zu mobilisieren, einander im Auge zu behalten und verdächtiges Verhalten zu melden. Fortschritte bei den Überwachungskapazitäten sind bei der Pandemiebekämpfung, aber auch in Minderheitengebieten wie Xinjiang deutlich sichtbar.[1]

Staatliche Bemühungen zur Datenerhebung und -analyse, insbesondere für Zwecke der öffentlichen Sicherheit und Staatssicherheit, sind keineswegs nur in China zu beobachten. Was die Umsetzung des Datenschutzes in der VR China unterscheidet, ist das Fehlen einer institutionellen und öffentlichen Aufsicht durch verwaltungs- und verfassungsrechtliche Normenkontrolle und Behörden, sowie eine freie Presse und Bürgerrechtsorganisationen.

Dieses vom chinesischen Parteistaat geprägte Verständnis von Privatsphäre ist nicht unumstritten. Angefangen bei öffentlichen und akademischen Diskussionen bis hin zu Einzelklagen und der Weigerung von Unternehmen, Daten herauszugeben: Als Betroffene sorgen sich Chinas Bürger:innen um den Schutz ihrer Privatsphäre. Leaks von Daten aus öffentlichen Datenbanken und der Missbrauch von Chinas Gesundheitscode-Apps zur Verhinderung von Protesten entfachten 2022 neue Debatten um staatliche Datensammlung und die Sicherheit personenbezogener Informationen.

[1] Für eine detaillierte Übersicht zu digitaler Kontrolle siehe Chin, J. und Lin, L, Surveillance State: Inside China’s Quest to Launch a New Era of Social Control, MacMillan, 2022.