Frieden

Frieden
和平

Frieden / 和平

Frieden / 和平

KURZGEFASST

»Die Friedensliebe liegt in der DNA des chinesischen Volkes«, hat Xi Jinping, der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas, wiederholt behauptet.[1] Dieses Narrativ der von Natur aus harmonischen, gewaltfreien und gütigen Volkssubjekte passt gut zur Überzeugung der Partei, dass sie moralisch stets im Recht ist. In der Charta der Vereinten Nationen wird der Begriff »Frieden« zwar nicht ausdrücklich definiert, doch wird er im Allgemeinen als ein Zustand verstanden, in dem es keinen Krieg, keine sanktionierten nicht-staatlichen Kampfhandlungen und keine Gewalt gibt. Der Friedensbegriff der chinesischen Führung schließt darüber hinaus soziale Stabilität, »Harmonie«, Entwicklung, Zusammenarbeit und gegenseitigen Nutzen ein – aber auch das Fehlen von Interventionismus und Kolonialismus.

Es ist daher nicht weiter überraschend, dass die Rhetorik der KPCh häufig ihren eigenen »friedliebenden« Charakter betont. Da die Partei China per definitionem als friedlich und die chinesische Nationalität (oder Rasse) als geradezu genetisch friedliebend charakterisiert, gibt sie sich auch verteidigungspolitisch defensiv. In einer Rede in Berlin im März 2014 sagte Xi, das Streben nach Frieden, Freundschaft und Harmonie sei »integraler Bestandteil des chinesischen Charakters, der tief im Blut des chinesischen Volks verwurzelt« sei und »die friedliebende kulturelle Tradition der chinesischen Nation in den letzten Jahrtausenden verkörpere.[2] In Xis Rhetorik wird Chinas Friedensliebe mit Faktoren erklärt, die mit der chinesischen Ethnie, Tradition und Geschichte zusammenhängen.

ANALYSE

Mao Zedong kam zwar zu demselben Schluss, lieferte aber eine rein ideologische Erklärung. Mao zufolge wollen alle sozialistischen Länder einschließlich Chinas Frieden; »die einzigen, die sich nach Krieg sehnen und keinen Frieden wollen, sind bestimmte kapitalistisch-monopolistische Gruppen in einer Handvoll imperialistischer Ländern, die für ihre Gewinne auf Aggression angewiesen sind.«[3]

In dem 2011 veröffentlichten Weißbuch der Regierung mit dem Titel »Chinas friedliche Entwicklung« wird erläutert, die Basis für Chinas Friedensliebe seien die Lehren, die das Land aus seiner Geschichte gezogen habe: »Das chinesische Volk hat aus seinen leidvollen Erfahrungen mit Krieg und Armut in der Neuzeit gelernt, wie wertvoll Frieden ist und wie dringend notwendig Entwicklung ist.« Daher beteilige sich China »niemals an Aggression oder Expansion, strebe niemals nach Hegemonie und bleibe eine entschlossene Kraft zur Aufrechterhaltung von Frieden und Stabilität in der Region und der Welt.« [4]

In dem Weißbuch wird betont, wie wichtig die Wahrung der sozialen Stabilität sei, die eng mit Chinas Vorstellung von Frieden verknüpft ist und zu den Kernzielen der KPCh gehört. Somit könnten auch auf die Unterdrückung friedlicher Protestbewegungen oder gar gewaltsamer sozialer Unruhen »Friedenssicherung« sein. Das chinesische Regime betrachtet Frieden und Stabilität als seine Legitimationsgrundlage und verfolgte deshalb die »Farbrevolutionen« in Georgien, der Ukraine und Kirgisistan in den 2000er Jahren mit großer Sorge.[5] »Friedenssicherung« bedeutet in diesem Kontext sowohl den Schutz des Regimes vor der eigenen Bevölkerung als auch den Schutz der herrschenden Partei vor tatsächlich oder vermeintlich feindlichen ausländischen Kräften.[6] Diese Bedenken erklären auch, warum China im Rahmen seines allumfassenden Sicherheitsapparats in Technologien zur Massenüberwachung investiert.

In dem Weißbuch von 2011 wird als übergeordnetes Ziel von Chinas Streben nach »friedlicher Entwicklung« außerdem »Modernisierung und gemeinschaftlicher Wohlstand« genannt. In seinen Anfang 2020 erschienenen »Gedanken zur Diplomatie« unterstreicht Xi Jinping, dass China »auf dem Weg der friedlichen Entwicklung auf der Grundlage von gegenseitigem Respekt, Zusammenarbeit und gegenseitigem Nutzen beharrt«.[7]

Die »friedliche Wiedervereinigung« (»和平统一«) Chinas ist zudem ein Euphemismus für die Eingliederung Taiwans in die Volksrepublik mit friedlichen Mitteln. Der Begriff impliziert, dass die Wiedervereinigung auch auf nicht friedlichem Wege erfolgen könnte, d.h. durch eine chinesische Invasion Taiwans. Tatsächlich hat China zu verstehen gegeben, es sei zum Krieg bereit, falls sich an dem jetzigen Status quo, in dem Taiwan de facto (aber nicht de jure) ein unabhängiger Staat ist, etwas ändere. Mit der Verabschiedung des »Anti-Sezessions-Gesetzes« im Jahr 2005 stellte China klar, dass es »nicht-friedliche Mittel (…) einsetzen wird, um Chinas Souveränität und territoriale Integrität zu schützen«, sollten »sezessionistische Kräfte (…) die Abspaltung Taiwans von China bewirken« oder »die Möglichkeiten für eine friedliche Wiedervereinigung vollständig ausgeschöpft sein«.[8]

Unterdessen behauptet die KPCh weiterhin, »der Frieden liegt in der chinesischen DNA«, ihre Verteidigungspolitik sei »defensiver Natur« und China stelle »keine militärische Bedrohung für irgendein anderes Land« dar. Nach dieser Logik ist Taiwan aus Sicht der KPCh kein anderes Land, sondern integraler Bestandteil des Territoriums der VR China. Das von der chinesischen Regierung proklamierte Festhalten an dem »Grundsatz, andere nicht anzugreifen, es sei denn, sie wird selbst angegriffen«, beruht also auf der Definition dessen, was ein »Angriff« ist. [9]

[1] »Xi Jinping Delivers Important Speech in City of London«, Außenministerium der VR China (22.10.2015), https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/topics_665678/xjpdygjxgsfw/t1309012.shtml.

[2] »Speech by H. E. Xi Jinping President of the People’s Republic of China at the Körber Foundation«, Außenministerium der VR China (28.3.2014), https://www.fmprc.gov.cn/mfa_eng/wjdt_665385/zyjh_665391/t1148640.shtml.

[3] Mao Tse Tung, »Opening Address at the Eighth National Congress of the Communist Party of China« (15.9.1956), Marxists Internet Archive, https://www.marxists.org/reference/archive/mao/works/red-book/ch05.htm.

[4] »China’s Peaceful Development«, Presseamt des Staatsrates der Volksrepublik China (6.9.2011), http://www.china.org.cn/government/whitepaper/node_7126562.htm.

[5] Chen, T. C., »China’s Reaction to the Colored Revolutions: Adaptive Authoritarianism in Full Swing«, APSA 2010 Annual Meeting Paper (19.7.2010), https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=1644372.

[6] Qian, G, »Reading Chinese Politics in 2014«, China Media Project (30.12.2014), https://chinamediaproject.org/2014/12/30/reading-chinese-politics-in-2014/.

[7] Xinhua, »习近平关于中国特色大国外交论述摘编》出版发行« [ Auszüge aus Xi Jinpings »Großmachtdiplomatie chinesischer Prägung, veröffentlicht], Xinhua Nachrichtenagentur (5.1.2020), http://www.xinhuanet.com/politics/leaders/2020-01/05/c_1125423757.htm.

[8] People’s Daily Online, »Full text of Anti-Secession Law«, People’s Daily Online (14.3.2005), http://en.people.cn/200503/14/eng20050314_176746.html.

[9] »China’s Peaceful Development«, Presseamt des Staatsrates der Volksrepublik China (6.9.2011), http://www.china.org.cn/government/whitepaper/node_7126562.htm.

Author: Jerker Hellström